Oksana Yavorska

Eröffnung einer ukrainischen Bibliothek

Nach Beginn des Krieges im Jahr 2022 gründete Oksana eine ukrainische Bibliothek bei der St.-Barbara-Kirche in Wien. Die Bibliothek wurde zu einem kulturellen Zentrum für im Ausland lebende Ukrainer, bewahrte die Muttersprache und verhinderte die Assimilation von Kindern. Der Bestand wuchs auf über 5700 Bücher und 15.000 Ausleihen. Renovierungsarbeiten im Januar 2024 ermöglichten die Durchführung verschiedener Veranstaltungen und stärkten die Rolle der Bibliothek.

Meine Geschichte des kulturellen Engagements in Wien und die Gründung der ukrainischen Bibliothek bei der St.-Barbara-Kirche

Ich möchte damit beginnen, dass ich am 24. Februar 2022 durch eine Benachrichtigung auf meinem Smartphone aufwachte. Es war eine Nachricht meiner Mutter, die in zwei Sätzen ihr Testament beschrieb. So begriff ich, dass der Krieg in der Ukraine begonnen hatte.

Foto von Oksana und Rostyslav am 24. Februar 2022

Mit dem Krieg kamen lange Tage intensiver Freiwilligenarbeit in einem hastig eingerichteten “Hauptquartier” bei der griechisch-katholischen St.-Barbara-Kirche in Wien in mein Leben. Märsche, Proteste, Sammelaktionen für medizinische und humanitäre Zwecke, Arbeit mit neu angekommenen Ukrainern – die aktive Phase dieser täglichen, anstrengenden Arbeit dauerte zwei Monate. Als der österreichische Staat schließlich begann, die Probleme der Flüchtlinge zu lösen, organisierten sich die Freiwilligen unseres Hauptquartiers in kleinere Gruppen und übernahmen verschiedene Aufgabenbereiche. Wir verstanden, dass wir sowohl kurz- als auch langfristig für die Ukraine gebraucht wurden.

Pfarrer Taras Shagala bat mich, bei der Gründung einer ukrainischen Bibliothek in der Kirche zu helfen, und ich stimmte ohne zu zögern zu. Dies geschah Ende April 2022, und die Entwicklung der Bibliothek dauert bis heute an. Zusammen mit Olena Mazurina und ihrer Tochter Anastasia richteten wir innerhalb von weniger als zwei Wochen eine funktionierende Bibliothek ein. Sie waren aus Sjewjerodonezk gekommen, hatten dort ihr Zuhause verloren und begannen gerade erst, auf Ukrainisch umzustellen. Diese Arbeit half ihnen, den durch den Umzug und die Unmöglichkeit, nach Hause zurückzukehren, verursachten Stress zu bewältigen.

Foto der ersten Freiwilligen und Leser der Bibliothek

Wir erstellten ein Google Sheets-Dokument mit einem Bücherkatalog sowie ein Online-Formular für Leser, damit sie Bücher über einen QR-Code ausleihen konnten. Besonderheit der Bibliothek ist, dass sie völlig kostenlos ist und kein einziges Buch in russischer Sprache enthält. Man kann bis zu zwei Bücher für drei Wochen ausleihen. Wir begannen mit einem Bibliotheksbestand von 500 Büchern, die wir von einer zuvor von der Familie Witoschynskyj gegründeten Diaspora-Bibliothek erhielten.

Foto von Oksana in der alten Bibliothek

Unser Ziel – Integration in die österreichische Gesellschaft bei gleichzeitiger Bewahrung der ukrainischen Identität

Wir beschlossen, keine kommerziellen Ziele zu verfolgen und keine Gebühren zu erheben, da nicht alle Menschen sie sich leisten könnten, insbesondere nicht schutzbedürftige Gruppen wie Rentner oder alleinerziehende Mütter. Zusammen mit dem Pfarrer setzten wir uns das Ziel, den Ukrainern zu helfen, ihre Muttersprache in der Fremde nicht zu vergessen und die Assimilation ukrainischer Kinder zu verhindern. Leider ist die staatliche Politik gegenüber Kindern nicht integrationsfördernd, sondern assimilierend. Deshalb kommen vier Tage die Woche Freiwillige und öffnen die Bibliothek für Besucher. Ich koordiniere diesen Prozess. Die Bibliothek ist an Wochenenden und an allen Feiertagen geöffnet.

Foto der Freiwilligen der Bibliothek
Foto der Freiwilligen der Bibliothek, Fortsetzung

Wenn man in Zahlen spricht: Im Bibliothekskatalog sind über 5700 Bücher registriert, die von Sponsoren gespendet oder mit Crowdfunding-Geldern gekauft wurden. Wir haben sogar unser eigenes Merchandise entwickelt – Lesezeichen, Notizbücher und Sticker. Seit Bestehen der Bibliothek haben mehr als hundert Menschen dort ehrenamtlich gearbeitet, einige davon bis heute.

Derzeit sind in der Benutzerliste mehr als 7000 Einträge vorhanden. Wenn man bedenkt, dass im Durchschnitt zwei Bücher pro Person ausgeliehen werden (wir machen Ausnahmen und erlauben manchmal drei), bedeutet das, dass die Bücher insgesamt mehr als 14.000 Mal ausgeliehen wurden.

Renovierung und neues Leben der Bibliothek

Bis Januar 2024 sah der Raum der Bibliothek nicht besonders einladend aus: Er war mit Buchhandlungen in Kyjiw nicht vergleichbar. Die Menschen kamen nur, um Bücher auszuleihen, und wir konnten keine Veranstaltungen anbieten, da der Platz fehlte. Ich setzte mich für die Renovierung der Bibliothek ein, und die Pfarrei stellte die Mittel dafür bereit. Der Designer-Architekt Ihor Dopilko entwarf ein Projekt, das erfolgreich umgesetzt wurde.

Foto der renovierten Bibliothek

Ich habe den gesamten Bestand selbst durchgesehen, um den Katalog zu aktualisieren. Viele Bücher, die uns gespendet wurden, waren bei den Lesern nicht sehr gefragt. Diese und andere Ausgaben (z. B. Duplikate von Büchern) verkaufte ich nach der Messe und bei der “Charity-Kaffee”. Mit den Erlösen kaufte ich Neuerscheinungen, die kürzlich in ukrainischen Buchhandlungen erschienen waren. So versuchte ich, die Nachfrage zu befriedigen und ein neues Angebot zu schaffen.

Im Januar, nach der Renovierung, eröffneten wir den Raum neu und fügten Veranstaltungen hinzu. In den letzten neun Monaten fanden in der Bibliothek mehr als 45 Veranstaltungen statt – von literarischen bis hin zu kreativen und künstlerischen. Die meisten Veranstaltungen sind kostenlos und kreativ gestaltet, um möglichst viele Menschen anzusprechen. Beispielsweise tanzte das Publikum beim Taras-Schewtschenko-Tag zu dem Lied “Sadowyschtschorny” der Band “Mertwy Piwon”. Um den Instagram-Account der Bibliothek zu fördern, startete ich ein Gewinnspiel für den “Hexen-Almanach”.

Foto vom Schewtschenko-Tag
Foto von Mädchen beim Kaffeetrinken

Ich investiere viel persönliche Kraft, Energie und Ressourcen, damit dieses Projekt nicht nur lebt, sondern sich auch weiterentwickelt. Wenn ich ganz ehrlich bin, ist mein Traum eigentlich die Schaffung eines Ukrainischen Kulturhauses in Wien. Schritt für Schritt geht unsere Gemeinde diesem Ziel entgegen. Mit der Bibliothek sammle ich die nötige Erfahrung, und vielleicht wird dieser Traum eines Tages Wirklichkeit.